Packrafting - Wassersport aus der Handtasche
Verzicht ist seit jeher fester Bestandteil im Outdoorsport. Von der Faszination einer Alpenüberquerung bis hin zum Skitourengehen. Ob zu Fuß, per Rad und auf Langlaufski – Hauptsache unabhängig und mit dem Notwendigsten ausgestattet. Nur der Wassersport scheint da eine Ausnahme zu machen. Hier suchte man bisher vergeblich nach Konzepten, die eine einfache, flexible Nutzung des Sportgerätes Boot bzw. Kanu möglich machten. Dass es auch anders geht, zeigt das Konzept „Packrafting“.
Was ist eigentlich ein Packraft?
Ein Packraft ist ein zwei bis drei Kilogramm leichtes, aber dennoch funktionales, sehr robustes Rucksacksackboot. Eine Erfindung weit über 100 Jahre alt, die nun perfektioniert wurde. Im Packmaß nicht größer als ein kleines Zelt, aber voll wildwassertauglich. Neue Hightech-Materialien und moderne Konstruktionsmerkmale machen dies möglich. Funktion ins Boot, Konventionen über Bord!
Weniger Gewicht, mehr Möglichkeiten
Wasser fasziniert die meisten Outdoor-Enthusiasten. Es ist elementarer Bestandteil vieler Landschaften und bildet immer natürliche Wege. Es kann eine Tour von markierten Pfaden befreien. Paddeln reizt dadurch fast alle Natursportler. Wenn nur dieses ganze Gepäck nicht wäre. Da sagen viele Wanderfreunde zur Recht: Nein danke!
In alpinen Gefilden sieht es ähnlich aus. In den Bergen will man unabhängig, frei und flexibel sein. Ein Boot ist dabei eher hinderlich. Ein Packraft kennt dieses Problem jedoch nicht und eröffnet völlig neue Möglichkeiten zum Paddeln (z.B. auf Bergseen). Die Schlichtheit der Konstruktion macht sich auch beim Aufbau bemerkbar. Statt einer Pumpe kommt ein Blasesack aus leichtem Nylon zum Einsatz. Ungefähr sechs Ladungen Luft reichen, um das Grundvolumen zu füllen. Der Rest wird per Lunge erledigt. Die geringe Abmessungen und Gewicht eines Packraft helfen zudem dabei, komplett auf das Auto zu verzichten. Unter ökologischen Gesichtspunkten ist Packrafting so eine der umweltverträglichsten bzw. nachhaltigsten Reiseformen überhaupt.
Packrafting, als Kombination aus Trekking und Paddeln, ist dabei alles andere als ein kurzlebiger Trend- oder Funsport. Packrafting ist ursprünglich Wildnispaddeln und hat sich dort entwickelt, wo der Bootstransport einerseits aufwendig ist, man andererseits ohne Boot aber nicht weit kommt, vornehmlich in Alaska. Expeditionen und Erstbefahrungen sind immer noch ein großer Bestandteil. Packrafting ist mittlerweile aber viel mehr als das, vor allem in Europa. Der Ansatz hat sich diversifiziert und kann heute alles sein, von der Querung eines Fjords bis zur Befahrung eines Wasserfalls. Charakteristisch bleibt jedoch die Verbindung mit anderen Aktivitäten, vornehmlich dem Wandern, aber auch dem Radfahren („Bikerafting" genannt). Die Portabilität, Vielseitigkeit und Verlässlichkeit definiert wo, wann und wie man paddelt völlig neu. Ob Wildwasser oder nicht, jede kombinierte Land-Wasser-Tour entspricht dem Kerngedanken.
Packrafting in der Praxis
Bei aller Leichtigkeit sollte man sich anfangs nicht überfordern. Auch ein drei Kilogramm leichtes Boot addiert einen substanziellen Teil zum Rucksackgewicht, mit Sicherheitszubehör allemal. Unabhängige Trekking- oder eben Packrafttouren (ggf. mit Wildwasseranteilen) sind die hohe Schule. Ähnlich dem Skitourengehen sind aber auch Tagestouren ein faszinierendes Erlebnis. Am besten tastet man sich anfangs mit Wochenendtouren mit Hüttenübernachtungen an sein persönliches Limit heran.
Auf dem Wasser wird das Gepäck in Form eines wasserdicht ausgekleideten Rucksackes üblicherweise quer über den Bug gebunden. Der Transport auf dem Boot funktioniert hervorragend bis hin zu großen Gewichten. Alternativ kann das Gepäck auch in den Schläuchen verstaut werden. Das Boot muss dazu jedoch mit einem druckdichten Reißverschluß ausgestattet sein. Wer besonders flexibel und großzügig mit Gepäck umgehen möchte, kann auch ein Zweier-Modell wählen, welches sich auch hervorragend als Einer fahren lässt und trotzdem noch sehr leicht ist.
Wasserwandern kann man überall
Dazu ein Beispiel. Kurzurlaub im tschechischen Isergebirge. Die Schneeschmelze hat Flüsse und Bäche gut gefüllt. Ein Eldorado für Wildwasserfahrer. Der Einstieg zur oberen Iser ist jedoch lang und nur zu Fuß zu erreichen. Mit einer traditionellen Ausrüstung ist das undenkbar. Packrafting-Rucksäcke wiegen aber nicht mal 10 kg. Darin enthalten ist eine komplette Wassersportausrüstung mit Sicherheitsartikeln und etwas Proviant. So ist der Hinweg kein Problem mehr. Entspannt mäandert man im Hochmoor. Nach den Großen Wiesen nehmen das Gefälle und damit die Schwierigkeit zu. Bei flotter Strömung erfordert das Paddeln volle Konzentration, aber das Meistern der Herausforderung macht Spaß. Nach einer Hüttenübernachtung in Jizerka wird die Ausrüstung zusammengepackt und zu Fuß geht es knapp zwei Stunden über die Berge zurück zur Smedava, was das Landschafterlebnis nochmal bereichert. Zurück am Ausgangspunkt, ganz ohne Fahrzeuge anzukommen, schafft Befriedigung. Wie Skitourengehen im Sommer.
Auch die große Karwendelrunde im Alpenraum ist eine beliebte Packraftingtour. Los geht es in Innsbruck. Man paddelt von direkt hier durchs Inntal bis Vomp, wandert dann durchs Vomperloch bis nach Hinterautal. Auf der Isar geht es schließlich flußab bis Scharnitz, um zu Fuß über die Eppzirlscharte nach Zirl zu kommen und abschließend zurück nach Innsbruck zu paddeln.
Den unmittelbarsten Freizeitwert bringt das Packrafting vor der eigenen Haustür. Dort, wo die Entdeckungen ausgereizt scheinen, ergeben sich plötzlich neue Variationen. Sachsen und Sachsen-Anhalt bieten eine Vielzahl von Kleinflüssen und lieblichen Berglandschaften. Was liegt näher als diese zu verbinden? Saale, Neiße, Havel, Mulde, Elster, Grosse Röder und die Elbe sind alles kanusportliche Klassiker. In Verbindung mit einer Wanderung sind sie nun persönliches Neuland.
Weiterführende Informationen
Packrafting ist etwas für Naturliebhaber und Freigeister. Gefragt ist die eigene Phantasie und schon eröffnen sich ungeahnte Freizeitmöglichkeiten. Packrafts gibt es in unterschiedlichen Größen, als Einer- oder Zweimodell. Je nach Größe, Zubehör und Gewicht reicht die Preisspanne von rund 500 Euro bis 1.500 Euro. Vom Gewicht her bewegen sich Packrafts zwischen 700 Gramm und 4,4 Kilogramm. Weitere Informationen gibt es unter www.packrafting.de. Hier finden sich zusätzliche Tipps sowie Touren & Berichte und eine komplette Marktübersicht. Der Blog wird von Sven Schellin und Marc Kreinacker als Initiative rund um das Thema „Packrafting“ abwechselnd in English und Deutsch geführt.
Fotos: Sven Schellin, Marc Kreinacker, Theo Larn-Jones
07. Juli 2024