Kampfsport für Kinder - Was macht Sinn und ist pädagogisch wertvoll?
Schon im frühesten Alter haben Kinder Spaß an der Bewegung und entwickeln gleichzeitig ein Gefühl für ihre eigenen Kräfte (siehe auch: Krafttraining im Kinder- und Jugendalter). Da wird geschubst, gedrängelt, gezogen, gezwickt und später auch gerauft. Solange dies in normalen Verhältnissen abläuft, ist dies vollkommen in Ordnung. Eine allgemeine sportliche Betätigung hilft Kindern, ihre Energie noch besser zu kanalisieren.
Etwas spezieller wird dies, wenn es um Kampfsport bzw. Kampfkunst geht. Neben den körperlichen Vorzügen koordinativ anspruchsvoller Bewegungen kommen auch noch Respekt, Etikette, Höflichkeit und der Selbstverteidigungsaspekt hinzu. Viele Eltern sind jedoch bei der Fülle an Angeboten überfordert und sind sich unsicher, was Sinn macht und was dem Kind evt. auch schaden kann.
Ist mein Kind für Kampfsport überhaupt geeignet?
Auf den ersten Blick sollte ein Energiebündel eher für Kampfsportangebote geeignet sein, als ein schüchternes, ängstliches Kind, aber dies muss nicht die Regel sein. Am Ende geht Probieren über Studieren. Oftmals kann es sein, dass ein Kind ein Schlagen und Treten ablehnt oder als zu schwierig empfindet, jedoch viel Spaß beim Schieben und Rangeln empfindet. Aus diesem Grunde sollte man zumindest zwei (vom Typ her unterschiedliche) Schnupperangebote testen, um herauszufinden, was dem Kind Spaß macht und wofür es Talent hat. Erzwingen darf man nichts.
Kampfsport bereits für Kleinkinder?
Gerade in den Kampfkünsten ist ein frühes Beginnen zu empfehlen. Die Gefahr des Überforderns besteht unter einem fähigen Trainer kaum. Im Grunde genommen kann es (mit dem geeigneten Programm) schon ab dem dritten Lebensjahr losgehen. Dies gilt für Jungs und Mädchen. Wichtig ist es, dass die Kampfsportschule spezielle Klassen für die jeweiligen Altersgruppen anbietet. Spaß, Motivation und verletzungsfreies Training sind nur möglich, wenn Kinder zu Beginn mit Gleichaltrigen trainieren. Mit zunehmendem Alter und Trainingserfahrungen ergibt sich ein gemischteres Training von selbst.
Kampfsport- und Kampfkunststile im Vergleich
Kampfsportarten unterscheiden sich neben ihrem Regelwerk hauptsächlich im „Dialog“ mit dem Gegner. So wird bspw. im Karate, Taekwon-Do und Boxen der Gegner als Element angesehen, auf dessen Angriff man mit konträren Mitteln antwortet, also mit einem Block entgegenhält bzw. schlägt oder tritt.
Weichere Kampfsportarten arbeiten mit dem Gegner, um seinen Angriffen zu entgehen, ihn zu werfen oder in eine Aufgabeposition zu bringen. In diese Liste fallen Fernost-Klassiker wie Judo, Ju-Jutsu und Aikido, aber auch das westliche Ringen (siehe Foto), welches gerade für Kleinkinder eine sehr empfehlenswerte Sportart darstellt. Daneben gibt es noch rein selbstverteidigungsorientierte Systeme, wie z.B. Wing-Tsun oder stilfreie Angebote. Daher spricht man hier auch von Kampfkunst anstelle von Kampfsport. Ein Wettkampf findet in diesen Systemen nicht statt.
Die richtige Auswahl
Wichtig ist es, einen Anbieter zu finden, der jüngere Kinder allgemein ausbildet, ohne an einem speziellen Stil zu klammern. Der Lehrer muss Erfahrung mit Kindern haben und sein Training gezielt auf die jeweiligen Altersgruppen ausrichten. Wer als Lehrer einem Sechsjährigen die Unterschiede zwischen Shotokan- und Wado-ryu-Karate vermitteln will, von dem sollte man sich eher distanzieren. Während asiatische Kampfkünste viel Wert auf Etikette legen, haben sie den Nachteil, dass eine körperliche Ausarbeitung durch zu viel Techniktraining und Rituale oft zu kurz kommt.
Kinder wollen sich austoben, dass muss man berücksichtigen! Dazu trägt auch eine allgemeine Athletikausbildung bei, die verhindert, dass bereits in frühen Jahren einseitige Bewegungsmuster antrainiert werden. Selbstverteidigung kann man (auch für Jüngere) ebenfalls empfehlen. Vorausgesetzt, dass dort nicht nur körperliche Techniken gelehrt werden, sondern vor allem das Erkennen von Gefahrensituationen und das Vermeiden durch selbstbewusstes Handeln.
Private Kampfsportschule oder Training im Verein?
Herkömmliche Kampfsportvereine haben selten spezielle Angebote für kleinere Kinder (bis sechs Jahren), daher sollte man hier genauer hinsehen. Jüngere Kinder einfach in ein normales Training zu integrieren macht wenig Sinn. Dafür gibt es kommerzielle Anbieter, die sich auf diese Zielgruppen spezialisiert haben. Ansonsten zählt einzig und allein die Qualität des Trainings. In Hinblick auf die Kosten sind Vereinsangebote im Allgemeinen preiswerter. Wer sich für asiatische Kampfsportarten entscheidet, sollte wissen, dass diese meist mit höheren Kosten (Trainingsgebühren, Kleidung, Gürtelprüfungen) verbunden sind. Dies ist zu einem gewissen Maße auch legitim, schließlich muss ein guter Trainer auch selbst für seine Fortbildung, sein Dojo und seine Ausrüstung investieren.
Es empfiehlt sich, vorab die Monatsgebühren und auch späteren Kosten genau zu hinterfragen. Finger weg von Angeboten, bei denen kleine Kinder schon zu Beginn eine Unmenge an Equipment benötigen und im Monatstakt für dubiose Prüfungsgebühren, Aufnäher, Lehrmaterial und sonstige Gimmicks „gemolken“ werden.
Das Kindertraining in der Praxis
Ein gutes Kindertraining beinhaltet stets ein lockeres Aufwärmen mit Spielen oder Geschicklichkeitsübungen. Auch das eigentliche Training dient in erster Linie zur Erlernung der Grundfertigkeiten wie Balance, Ausweichen, Druck- und Gegendruck, sich leichtfüßig bewegen und einem allgemeinen Gefühl für die Aktionen des Gegenübers. Erst dann werden Kinder an diffizilere Aspekte herangeführt. Auch wenn erste Schlag- und Tritttechniken vermittelt werden, muss man als Elternteil nicht besorgt sein, dass Kinder damit im Kindergarten oder der Schule das Prügeln anfangen.
Gerade das bewusste Kennenlernen der eigenen Kraft und der Mittel, diese einzusetzen, verhindern, dass Aggressionen in die falschen Bahnen gelenkt werden. Dafür trägt ein guter Ausbilder Sorge. Ein Unterschied zum herkömmlichen Kampfsporttraining ist die Selbstverteidigung für Kinder. Diese ist nur zu einem geringen Teil körperlicher Natur. Hier wird den Kindern vor allem gelehrt, wie man Gefahren erkennt, wie diese aussehen und wie man sich durch selbstbewusstes, entschiedenes Handeln schützen kann.
Konsequenz
Kinder in die Welt des Kampfsports einzuführen, hat viele Vorteile. Jedoch nur unter der richtigen Anleitung. Leider gibt es zu viele „Könner“ auf dem Markt, die sich mit dem Schwarzgurt in irgendeinem Stil brüsten, jedoch kampfsportlich und pädagogisch unterste Schublade sind. Nicht immer fällt es einem Laien leicht, dies zu erkennen. Hier hilft nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch ein kritisches Beobachten und Hinterfragen des Trainings, dass man die erste Mal stets begleiten sollte.
Eine Kampfkunst muss nicht immer nur ein jugendliches Spaßtraining sein, sondern kann einen Menschen das ganze Leben lang begleiten. Als Eltern kann man nicht alles vorgeben und kontrollieren, aber zumindest für die richtigen Impulse sorgen.
Stimmen aus der Branche
"Philosophie vermitteln und vorleben"
Im Kinderbereich ist es wichtig zwischen Kampfsport und Selbstverteidigung zu unterscheiden. Kampfsportliches Training fördert die Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Reflexe und Koordination. Ein Kindertraining kann mit zweimal wöchentlich je 45 bis 90min einen guten Einstieg bieten. Kinder der gleichen Altersstruktur und Leistungsstand sollten in einer Trainingsgruppe trainieren. Im Bereich des Selbstverteidigungstrainings sollten Eltern wissen, dass ein reines Training von Verteidigungstechniken wenig Schutz bietet. Vielmehr ist sind mentale Voraussetzungen im Anwendungsfall entscheidend. Ein introvertiertes Kind wird eher in einer Opferrolle erkannt als ein Kind mit selbstbewusster Ausstrahlung. Daher geht es in erster Linie darum, die richtigen Verhaltensmuster schon im Ansatz umzusetzen. Daher stehen Rollenspiele und Situationstraining im Vordergrund. Die räumlichen Anforderungen einer guten Kampfsportschule sollten mit allen erforderlichen Trainingsgeräten und Materialien ausgestattet sein. Ein guter Trainer und Lehrer sollte neben den kämpferischen Fähigkeiten auch über hohe Sozialkompetenz verfügen. Hierbei spielt die eigene Einstellung zum Kampfsport eine wichtige Rolle. Gute Trainer vermitteln diese Philosophie und leben sie auch vor.
Ronny Schönig, TAOFIT
"Aus Spaß darf nicht Pflicht werden"
Kinder finden aus den unterschiedlichsten Gründen zum Kampfsport. Oft suchen Eltern etwas für ihre Kinder, bei dem sie sich auspowern können und gleichzeitig etwas Sinnvolles lernen. Andere kommen vordergründig, um Selbstverteidigung zu erlernen und wiederum andere, um sich überhaupt in irgendeiner Form zu bewegen. Egal, was die Motivation ist, ein gutes Kampfkunsttraining bringt fast immer große Vorteile. Viele „Problemkinder“ haben sich bereits durch das Kampfkunsttraining zum Positiven entwickelt und ihre Eltern nicht selten sehr überrascht. Ein- bis zweimal Training pro Woche für rund eine Stunde reichen dabei aus. Mehr würde ich nicht empfehlen, da sonst aus Spaß schnell Pflicht für die Kinder wird. Ich vertrete die Auffassung, dass ein guter Trainer nicht mehr als sieben Kinder auf einmal betreut. Ab dem achten Kind braucht es einen zweiten Trainer. Wer mit Kindern arbeitet, sollte viel Einfühlungsvermögen haben. Langjährige Erfahrung sind genauso von Vorteil, wie ein breiter Wissensfundus aus den verschiedensten Kampfsportarten. Eine gute Ausrüstung an Schützern und Trainingsgeräten sollte in jedem Dojo Voraussetzung sein.
Torsten Fischer, Kampfsportakademie Chemnitz
"Effektive Techniken mit Verantwortung"
Kindern kann man guten Gewissens Selbstverteidigungstechniken beibringen. Meine Wurzeln liegen in der Selbstverteidigung, daher unterrichte ich verstärkt diesen Aspekt. Aus meiner sportlichen Laufbahn als Kind, weiß ich aber, dass mir Wettkampfsport für meine Entwicklung sehr gut getan hat und sehe auch hier viele Vorteile. In der Öffentlichkeit wird Kampfkunst oft in ein negatives Licht gerückt. Das ist schade, da die Kinder, die Kampfsport trainieren oft einen ruhigen und beruhigenden Einfluss auf ihre Umwelt haben. Sie können ihre Grenzen zeigen und neigen wesentlich seltener zu aggressivem Verhalten. Im Training sollte man den Leistungsdruck (dem unsere Kinder schon in der Schule ausgeliefert sind) etwas rausnehmen. Es ist wichtig, dass Kinder auch mal toben können und Spaß haben. Dann lernen sie am besten. Als Lehrer steht man in der Pflicht, effektive Techniken verantwortungsvoll zu erläutern und auch moralische Werte zu vermitteln. Dazu gehört auch, dass sich Kinder untereinander unterstützen und gemeinsam Fortschritte erleben. Für den Einstieg ist ein Schnuppertraining, bei dem Kinder und Eltern die Gruppe und die Trainer kennenlernen können, sehr wichtig. Kinder merken schnell, ob ihnen das Training gut tut.
Kathrin Grobelnik, chisao Kampfkunst- und Bewegungsstudio
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Text: Stefan Mothes | Fotos: Daniel Wickert, Ronny Schöny, TAOFIT, RV Thalheim
08. März 2022