Hinter den Kulissen: Stadionsprecher - Flottes Mundwerk und Sachverstand
Es gibt Berufe, die lassen sich mit etwas Fleiß im Handumdrehen erlernen. Für manch anderen braucht es etwas mehr Talent. Doch um ein Stadion mit tausenden Fans zum Kochen zu bringen, muss man wohl geboren sein. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum Stadionsprecher ihre Arbeit nicht als Beruf, sondern eher als Berufung sehen. Denn ein paar Spielernamen vorzulesen oder Musik einzuspielen reichen für diesen Job nicht aus. PULSTREIBER hat zwei Profis unter die Lupe genommen und herausgefunden, worauf es wirklich ankommt.
Hinweis: Während Urgestein Peter Hauskeller immer noch als Stadionsprecher bei Dynamo Dresden aktiv ist, moderiert bei den Dresden Monarchs inzwischen Alexander Perponcher die Spiele der "Königlichen" (Stand 2022).
Günther Jagsch, Dresden Monarchs
Günther Jagsch ist das Sprachrohr der Dresden Monarchs. Das Unterhaltungstalent der Königlichen gehört seit 2003 zu jedem Heimauftritt wie der eiförmige Ball zum Spiel. Dabei ist er vor sechs Jahren zum Sachsenbowl eigentlich nur als Notlösung für den scheidenden Vorgänger Torsten Püschel eingesprungen. Damals ahnte noch niemand, dass sich der gebürtige Oberpfälzer in nur kürzester Zeit zur „Stimme“ der Dresdner Footballgemeinde entwickeln würde. Heute ist Jagsch eine eigene Institution; die Leute kommen auch wegen ihm. Und das, obwohl er mit seinem Hang zur Extrovertiertheit wahrscheinlich nicht immer den Geschmack aller Zuschauer trifft. Um seine Außenwirkung weiß der 39-Jährige nur zu gut: „Für viele bin ich das Maß aller Dinge, andere betrachten mich wiederum als mittelschwere Katastrophe. Aber damit kann ich leben. Recht machen kann man es sowieso nicht jedem und verbiegen lasse ich mich nicht.“
Für Jagsch ist der Beruf des Stadionsprechers das absolute Nonplusultra. „Die Leute heiß zu machen ist für mich keine Arbeit, sondern eine große Ehre.“ Der studierte Diplom Ingenieur lebt American Football und das kommt nicht von ungefähr. Mit den Kümmersbruck Red Devils feierte Jagsch vier Meisterschaften. Nach dem Umzug in die Elbmetropole stieg er 1999 mit den Monarchs als erstes ostdeutsches Team in die zweite Bundesliga auf. Doch nach zwölf Jahren als Aktiver einfach aufzuhören, konnte er nicht. „Ich musste irgendwie wieder zurück aufs Feld. Als der Posten am Mikrofon frei wurde, dachte ich mir ‘jetzt oder nie’.“
„Herzblutsachse“ mit bayerischem Akzent
Bedenken, sich zu blamieren, habe er nie gehabt. „Die meisten Fans kannten mich ja bereits – und ein flottes Mundwerk hatte ich schon immer“, witzelt er. Mit seiner lockeren und manchmal süffisanten Art des Kommentierens stieß der Wahl-Dresdner trotz seines nicht gerade sächsischen Akzents schnell auf Gegenliebe. „Die Leute haben mich akzeptiert, wie ich war. Mittlerweile bin ich ein richtiger Herzblutsachse“, sagt er stolz.
„Als Stadionsprecher sollte man vor allem mit Menschen interagieren können. Sonst endet das Ganze schnell in einer Sackgasse“, erklärt Jagsch. Spezielle Phrasen oder Sprüche musste er sich dennoch nie zurechtlegen. „Ich mache das einfach mit viel Leidenschaft, frei Schnauze aus dem Bauch heraus. Authentizität ist alles – gekünstelte Emotionen kauft dir sowieso niemand ab. Damit bist du nur ganz schnell unten durch.“
Individualität ist das Markenzeichen jeden Stadionsprechers. Für „Günni“, wie ihn die Anhänger der Monarchs nennen, käme es deshalb nicht in Frage, in andere Stadien zu fahren, nur um sich von Kollegen inspirieren zu lassen. Lieber suche er das direkte Gespräch mit den Fans. „Nichts geht über ein ehrliches Feedback. Nachzufragen, was sie wirklich wollen, hat mir oft geholfen und mich auf super Ideen gebracht. Sprüche wie ‘Wo geht’s lang? Da geht’s lang!’ kamen indessen alle von den Zuschauern. Und das ist auch gut so, schließlich sind sie der eigentliche Hauptakteur und ich nur die Starthilfe.“
Fundiertes Fachwissen und geballte Emotionen
Trotz jahrelanger Erfahrung und seiner unnachahmlichen Begabung, das Publikum mitreisen zu können, bereitet sich Jagsch auf jedes Spiel akribisch vor. Gegner analysieren, Stärken und Schwächen ausloten, und mit den Trainern beider Teams sprechen, ist vor jeder Partie Pflicht. „Ohne ein fundiertes Fachwissen und Spielverständnis kommt man schnell ins Rudern. Denn auf den Tribünen sitzen viele Experten, die sofort merken, wenn ‘der da unten’ keine Ahnung hat.“ Da es beim American Football keinen kontinuierlichen Spielfluss gibt, lassen die Pausen viel Raum für Kommentare oder Erklärungen – für Jagsch immer wieder eine neue Herausforderung. „Man muss diesen Sport auch den Leuten erklären können, die nicht so oft oder das erste Mal im Stadion sind.“
Ein besonderer Reiz sei für ihn die ständige Gratwanderung zwischen Objektivität und Fanstimme. Nicht selten muss der Antreiber der Königlichen sein Temperament zügeln. „Natürlich verfolge ich das Geschehen auf dem Platz auch aus der Sicht eines Fans. Das lässt sich nicht vermeiden, denn mein Herz schlägt nun einmal für die Monarchs. Trotzdem versuche ich, Aktionen so unvoreingenommen wie möglich zu beurteilen. Nur so verdient man sich den Respekt der Fans, Gastmannschaften und Schiedsrichter.“ Was passiert, wenn die Emotionen überkochen und die Objektivität flöten geht, musste Jagsch vergangene Saison in einem unrühmlichen Moment erfahren. „Für mein Meckern gegen den Unparteiischen kassierten wir 15 Yards Strafe und ich nach dem Spiel eine ordentliche Abreibung vom Headcoach.“
Heiserkeit aus Leidenschaft
Solche Ausrutscher kämen vor und ließen sich manchmal nicht vermeiden. Dennoch überwiegen für Jagsch die schönen Erinnerungen an eine „geile Zeit mit viel Leidenschaft und jeder Menge Höhepunkte“, wie er sagt. Spiele der besonderen Art seien immer die Partien gegen Braunschweig gewesen, in denen er, nach eigener Aussage, regelmäßig kurz vor einem Kollaps stand. „Gesundheitsgefährdend ist dieser Job aber eigentlich nicht. Nur meine Arbeitskollegen wundern sich des Öfteren, warum ich in den Meetings oft so heiser bin“, schmunzelt Jagsch, der hauptberuflich als Vertriebsberater arbeitet.
In Zukunft dürfte er dieses Problem allerdings nicht mehr haben. Aus beruflichen Gründen wird Jagsch in der kommenden Saison nicht mehr für die Monarchs am Mikrofon stehen – eine Entscheidung, die ihm mehr als schwergefallen ist. Die Königlichen müssen ihren Blick trotz alledem weiter nach vorn richten. Denn wie heißt es so schön im Klassiker von „Queen“: „The Show must go on!“
Peter Hauskeller, Dynamo Dresden
Für Dauerbrenner Peter Hauskeller geht die Show indessen weiter. Der gebürtige Dresdner ist seit 1992 die Stimme der Dynamos. Sein Herz an den Verein hatte er bereits in der Jugend verloren – dort kickte er jede Woche regelmäßig. Als der ehemalige Stadionsprecher Gert Zimmermann aus beruflichen Gründen seinen Platz räumen musste, übernahm Hauskeller dankend. „Gert und ich kannten uns sehr gut aus der Zeit als Diskotheker. Als sein Angebot kam, habe ich nicht lang überlegt“, erinnert sich Hauskeller. Damals konnte sich der gebürtige Dresdner kaum vorstellen, dass aus der anfänglichen Liaison mit den Schwarz-Gelben mindestens 17 Jahre werden würden.
Fußballquiz unter der Discokugel
Obwohl sich Hauskeller als neuer Stadionsprecher anfänglich auf völlig neues Terrain begab, konnte er auf seine Erfahrung als Discjockey bauen. Steinig und lang sei die Ausbildung zum Diskotheker gewesen. Sprechausbildung und zahlreiche Lehrgänge waren Grundvoraussetzung für das Bestehen der Prüfung. „Wer dabei nicht einigermaßen vier zusammenhängende Sätze sagen konnte, hatte ganz schlechte Karten“, erzählt er und erinnert sich: „Als echter Fußballfan hatte ich in meinem Abschlussprogramm natürlich Quizfragen zum runden Leder auf Lager.“
Hauskeller sei froh, eine anspruchsvolle Schule und sprachliche Vorbildung genossen zu haben – ohne die, so sagt er, wäre der Einstieg als Stadionsprecher schwerer gewesen. „Rhetorisch gewandt zu sein, ist für den Job am Mikrofon sehr wichtig. Vor allem sollte man nie aufhören, weiter an der eigenen Aussprache zu feilen.“ Dass man am Mikro kein Vermögen verdient, stört ihn wenig. „Die unvergesslichen Momente und der Zuspruch der Fans sind mehr wert als jedes Gehalt.“
Nur zu gut kann sich der Routinier an seinen ersten Einsatz als frisch gebackener Stadionsprecher erinnern. Aufgeregt sei er damals gewesen, und zu allem Überfluss war auch noch der Kölner Privatsender RTL im Stadion, um die Reaktionen auf die Stasi-Verstrickungen des damalige Dynamo- Torjägers Torsten Gütschow einzufangen. „Die Zuschauer hat das total kalt gelassen. Die wollten von Gütschow nur Tore sehen. Und deshalb sollte ich den Kölner Reportern nach dem Spiel Rede und Antwort stehen. Da war locker bleiben angesagt.“
Auch für Hauskeller beginnt jeder Spieltag mit einer intensiven Vorbereitung. „Kicker“ lesen und Statistiken auswerten gehöre genauso dazu, wie die Namen der Spieler zu verinnerlichen. „Wer die falsch ausspricht, verliert schnell sein Ansehen. Die Fans sind in dieser Beziehung sehr sensibel“, erklärt er. Extrem wichtig sei außerdem die strikte Einhaltung des Ablaufplanes, denn der ist auf die Minute festgelegt. „Interviews und die Stadionhymne müssen bis zum Anpfiff genauso durch sein wie der Auftritt der Einlaufkinder. Das erfordert perfektes Timing, denn der Schiri wartet nicht.“
„Abkupfern geht gar nicht“
Bei den Anhängern der Schwarz-Gelben hat Hauskellers ausgefallene Musikauswahl zur Halbzeitpause inzwischen Kultstatus erreicht. „Ich versuche nur die Wünsche der Fans zu erfüllen“, meint er bescheiden, betont aber, „dass das gar nicht so einfach ist, weil das heimische Publikum nicht das hören will, was in den Stadien der Konkurrenz läuft.“ Dresdner Fans seien sehr eigen. Schon das dreimalige Ausrufen des Torschützen gelte als abgekupfert. Deswegen geht Hauskeller immer mit offenen Ohren auf die Fans zu. „Die sagen dir schon, was ihnen gefällt. Mit etwas Kreativität findet man irgendwann seinen eigenen, unverwechselbaren Stil. Doch das braucht Zeit und geht nicht von heut auf morgen.“
Etwas weniger eigener Stil und Kreativität war beim Länderspiel im Jahr 1992 gefragt, als Deutschland im Rudolf Harbig Stadion gegen Mexiko antrat. „Die Organisatoren hatten den gesamten Ablauf und die Moderation bis ins kleinste Detail durchgeplant. Aber mir war das völlig egal. Schließlich durfte ich ein Länderspiel moderieren – ein Traum für jeden Stadionsprecher“, erinnert sich Hauskeller. Ähnlich spektakulär ist ihm der Aufstieg in die 2. Bundesliga im Jahr 2004 in Erinnerung, als die Dynamos im vorletzten Spiel der Saison zu Hause gegen Neumünster gewannen. „Das war der absolute Hammer. Unglaubliche 36.000 Fans im Stadion und anschließend 30.000 Feierwütige auf dem Altmarkt – da brannte die Luft und ich hatte Gänsehaut.“
Dynamo Dresden – das ist für Peter Hauskeller eine Herzensangelegenheit. Sein Erfolgsrezept ist Originalität und Leidenschaft. „Wer mit Herz und Seel dabei ist, der kann nicht viel falsch machen“, rät er Neueinsteigern, weist jedoch daraufhin, dass es heutzutage oft schwierig ist, an eine Stelle als Stadionsprecher zu kommen. „Meist werden Leute bevorzugt, die direkt vom Radio kommen oder schon Berufserfahrung haben.“ Dass sein Platz in naher Zukunft frei wird, bezweifelt der Fußballexperte stark. „Ich bleibe solang, bis mich die Fans vom Acker jagen.“
Text: Matthias Fiedler | Fotos: Stefan Brock, Ben gierig, Frank Dehlis
09. Februar 2022