Wie trainiere ich für Muskelaufbau, wie für Kraftzuwachs?
Für mich war es als Jugendlicher immer ein Mysterium. Was ist der Unterschied zwischen Krafttraining und Bodybuilding? Kann man überhaupt beeinflussen, ob man an Muskelmasse zulegt oder einfach nur stärker wird? Ist dies genetisch bedingt und nicht beeinflussbar? Warum hebt ein massiver Bodybuilder z.B. weitaus weniger Gewicht als ein Kraftdreikämpfer oder Gewichtheber in den unteren Gewichtsklassen? Mittlerweile weiß ich zum einen warum dies so ist, zum anderen, wie ich für die unterschiedlichen Zielsetzungen trainieren muss. Nachfolgend mehr zu der ursprünglichen Fragestellung und der Umsetzung im Training. Der Leser möge mir insgesamt eine vereinfachte Darstellung verzeihen, schließlich geht es Verständlichkeit und nicht um Fachchinesisch.
Übersicht
>> So funktioniert Muskelaufbautraining
>> So funktioniert Krafttraining
>> Gibt es eine klare Trennung zwischen Muskelaufbau und Kraftzuwachs?
>> So wird ein Muskelwachstum stimuliert
>> So sieht ein reines Krafttraining aus
>> Der Unterschied zwischen Allgemeinkraft und funktioneller Kraft
>> Weiterführende Artikel und Buchempfehlungen
So funktioniert Muskelaufbautraining
Zur Erklärung müsst ihr euch vorstellen, ihr seid ein mittelständischer Unternehmer. Als ehrgeiziger Geschäftsführer einer kleinen Versicherungskanzlei wollt ihr mehr Umsatz machen. Eure Mitarbeiter sind voll ausgelastet, mehr könnt ihr aus ihnen nicht herausholen. Ihr stellt also kurzerhand mehr Mitarbeiter ein. So sieht es auch beim Muskelaufbautraining aus. Durch eine entsprechende Überlastung (mehr dazu später) zwingt ihr den Körper, zu reagieren, indem er mehr Muskelgewebe aufbaut als im Training „zerstört“ wurde (dies nennt sich Hypertrophie). Somit seid ihr in der Lage beim nächsten Training ein klein wenig mehr zu leisten. So lange, bis ihr die Muskulatur erneut überlastet, die daraufhin mit erneutem Wachstum reagiert (dies nennt sich Super- bzw. Überkompensation).
So funktioniert Krafttraining
Auch hier sind eure Mitarbeiter voll ausgelastet und ihr könnt nicht mehr aus ihnen nicht herausholen. Anstatt jedoch in neues Personal zu investieren, schickt ihr eure Mitarbeiter auf Fortbildung, so dass sie mit dem erworbenen Wissen mehr leisten, also mehr Umsatz machen können. Analog reagiert euer Körper auf die Überlastung, indem er die vorhandenen Muskelfasern stärker und belastbarer macht, ihnen ermunternd zuruft: „Los, Leute ihr packt das schon, glaubt an euch“.
Gibt es eine klare Trennung zwischen Muskelaufbau und Kraftzuwachs?
Je nach gewähltem Trainingsprinzip wird eurer Körper entsprechend reagieren. In welchem Maße hängt jedoch von genetischen Faktoren ab, aber auch von Ernährung, Ruhepausen und regenerativen Maßnahmen. Mit einem Kraftzuwachs geht immer auch ein Muskelzuwachs einher und auch ein Muskelwachstum verhilft euch zu mehr Kraft. Je nachdem wie ihr trainiert, verschiebt sich dies im Schwerpunkt zu der einen oder anderen Seite.
So wird ein Muskelwachstum stimuliert
Grundsätzlich ist ein Zuwachs an Muskelmasse für den Körper etwas Unnatürliches. Dies ist evolutionär bedingt. Jedes Kilo mehr Masse behinderte bei der Jagd nach der Antilope und mehr Muskelmasse verbraucht auch mehr (kostbare) Nahrung. Diese Information ist immer noch in unserem Reptilienhirn gespeichert. Daher muss man dem Körper stets zeigen „Kein Angst, du bekommst genug Futter, du musst auch nicht dauern hinter der Antilope hinterher hetzen“. Dies bedeutet ein Überschuss an Kalorien bei der Nahrungsaufnahme und eine Reduzierung von Aktivitäten, die Ausdauer und Schnellkraft verlangen. Daher trainieren Bodybuilder nach dem Motto: Trainieren, Essen, Schlafen (Train, Eat, Sleep, Repeat).
Rein vom Training her empfiehlt es sich, im Oberkörperbereich zwischen 8 und 12 Wiederholungen zu absolvieren, im Unterkörperbereich zwischen 12 und 20. Diese Zahlen sind aber nicht in Stein gemeißelt. Im Bereich unter 6 Wiederholungen geht ihr jedoch ins Krafttraining, bei zu vielen Wiederholungen ist das Gewicht zu leicht und ihr trainiert die Kraftausdauer.
Beim Muskelaufbautraining kann man nahe an die muskuläre Erschöpfunsgrenze herangehen, sollte den Muskeln aber nicht mit erzwungenen Wiederholungen (Schwung holen, Partner hilft) überfordern. Einfach nach der 9. Wiederholung Schluss machen, auch wenn man noch eine 10. Wiederholung herausquetschen könnte. Wer übertreibt, riskiert Übertraining. Pausen zwischen den Sätzen nach Gefühl, aber nicht mehr als 2 Minuten, denn eine Ermüdung des Muskels ist hier Teil des Trainings. Mehr als 3 Sätze pro Übungen müssen nicht sein, diese jedoch hochkonzentriert. Isolationsübungen, die eine Muskelpartie gezielt ansprechen, sind für Fortgeschrittene ok, aber auch hier muss man darauf achten, nicht denselben Muskel mit einer anderen Übung erneut zu beanspruchen. 3 Sätze Bizeps-Curls, 3 Sätze Klimmzüge und 3 Sätze Langhantelrudern würden z.B. 9x den Bizeps ansprechen, was diesen relativ kleinen Muskel massiv überfordern würde. Eine Kenntnis darüber, welche Übungen welche Muskelpartien ansprechen, ist somit unerlässlich.
So sieht ein reines Krafttraining aus
Wichtig beim Krafttraining ist es, zu verstehen, dass eine Leistungssteigerung nicht nur auf muskulärer Basis abläuft. Gerade unser zentrales Nervensystem spielt eine tragende Rolle. Maximale Kraft ist die maximale Kontraktion, die das Nerven- Muskelsystem aufbringen kann. Daher ist obiger Vergleich mit der „Weiterbildung der Mitarbeiter“ durchaus passend. Für eine Kraftsteigerung müssen Bewegungen eingeschliffen werden, also die Signalübertragung entsprechender Nervenbahnen verbessert werden. Dies geht nicht von Heute auf Morgen und jede Überlastung wirkt kontraproduktiv. Daher sollte niemals zu schwer trainiert werden und auch die Erholungspausen zwischen den Trainingseinheit müssen ausreichend sein. Während sich die Brustmuskulatur nach schwerem Bankdrücken bereits schon nach 2 Ruhetagen erholt hat, kann es sein, dass ihr schweres Kreuzheben (die beste Übung zur Steigerung der Allroundkraft) nur einmal pro Woche ausführen könnt. Und euch trotzdem dabei steigert! Festzuhalten ist: Je stärker ihr werdet, je mehr Gewicht ihr bewegt, desto mehr müsst ihr auf die notwendige Regeneration achten.
Eine Kraftsteigerung erzielt man am besten im unteren Wiederholungsbereich von weniger als 6 Wiederholung. Je nach Trainingserfahrung und -zustand werden die Wiederholungen immer mehr reduziert, bis hin zur Einzelwiederholung. Dies heißt aber nicht Maximalkraftversuch! Als Faustregel gilt: Macht 1 Wiederholung mit einem Gewicht, welches ihr 3x bewegen könntet. 8 Sätze davon könnt ihr schon ausführen, die Pausen zwischen den Sätzen sollten aber so lang sein, dass ihr euch vollkommen erholt habt. Für das allgemeine Krafttraining sollte ihr komplexe Übungen auswählen (die den so viel wie möglich Muskelfasern ansprechen) und auf Isolationsübungen und Maschinentraining verzichten. Vorteilhafte Übungen: Kreuzheben, Kniebeugen, Bankdrücken, Klimmzüge, evt. noch vorgebeugtes Rudern.
Der Unterschied zwischen Allgemeinkraft und funktioneller Kraft
Kraft ist immer an eine bestimmte Bewegung gebunden. Diese kann sehr speziell sein wie z.B. Armdrücken oder Diskuswerfen oder eher allgemein wie z.B. das Heben schwerer Lasten. Wer einfach nur allgemein stärker werden will, muss sich hier nicht allzuviel Gedanken machen. Wer jedoch als Boxer härter schlagen will, dem bringt es nichts, wenn er Bankdrücken mit weitem Griff oder Dips (Barrenstütz) trainiert. Beide Übungen entsprechend nicht dem Bewegungsmuster eines Jabs oder einer rechten Geraden. Gerade das „Einschleifen“ des richtigen Bewegungsmusters hilft aber, in der entsprechenden Bewegung stärker zu werden. In Konsequenz sollte sich der Sportler hier eine Übung suchen, die so nahe wie möglich an seiner Sportart orientiert ist. Im Falls des Boxers wäre enges Bankdrücken mit Kurzhanteln noch am ehesten eine unterstützende Übung. In der Praxis kommt ein härter Schlag aber eher durch das Training am Sandsack als durch Hanteltraining. Ansonsten gilt "If you want to press a lot you must press a lot". Willst du in einer speziellen Fähigkeit besser werden, dann trainiere diese spezielle Fähigkeit so oft wie möglich. Dazu braucht es nicht immer Gewichte.
Weiterführende Artikel und Buchempfehlungen
- Das "Doug Hepburn Prinzip"
- Buch „Olympisches Gewichtheben“
- Interview mit Dr. Andreas Müller zum Thema Natural Bodybuilding
- Interview mit Kletterprofi Jürgen Reis über die Vereinbarkeit von Kraftaufbau / Fettabbau
Text: Stefan Mothes | Fotos: Stefan Mothes, Christoph Wulff, Pixabay
01. März 2023