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Interview: Robert Förstemann

Robert Förstemann

Er wird aufgrund seiner unglaublich starken Oberschenkel »Quadzilla« genannt. Was genau dahinter steckt und weitere interessante Einblicke in sein Leben und seinen Sport erfahrt ihr nachfolgend.

Bezogen auf das Profil deiner Sportart könnte man sagen, dass du die Claudia Pechstein des Radsports bist. Oder ist das falsch?

Nein, bin ich nicht. Claudia ist auf ihre sportlichen Erfolge bezogen absolut unerreicht. Claudia Pechstein ist mit fünf Olympiasiegen die erfolgreichste Winterolympionikin aller Zeiten. Zwar habe ich in meiner Sportart auch sehr viel erreicht und nahezu alles gewonnen, was möglich ist, GP, DM, EM, WC, WM, aber dennoch fehlt mir auf Olympia bezogen, nach wie vor der große Sieg. Ich hoffe, dies 2016 in Rio de Janeiro nachholen zu können. (Anmerkung der Redaktion: Leider verpasste Robert Förstemann die Qualifikation für Rio)

Was genau macht denn den Bahnradsport aus?

Der Bahnradsport ist vor allem durch Geschwindigkeit, Taktik, die besondere Bahnradtechnik und Abwechslung geprägt. Die unterschiedlichsten Disziplinen und Rennfahrer- Typen treffen in diesem Sport aufeinander. So kämpfen in Massenwettbewerben im Ausdauerbereich bis zu 25 Rennfahrer gleichzeitig auf der Bahn um den Sieg. Rennübersicht, taktische Cleverness und natürlich starke physische Voraussetzungen entscheiden hierbei über Sieg und Niederlage. Und das alles ohne Bremsen, Freilauf und Schaltung am Rad. Das bedeutet, dass Reaktionsschnelligkeit und fahrerisches Können bei Ausweichmanövern mit Geschwindigkeiten bis 80km/h unabdingbar sind. Charakteristisch ist auch die mittlerweile enorme Leistungsdichte bei internationalen Rennen. Nicht selten liegen beispielsweise in der Qualifikation für das Sprint- Turnier innerhalb 1/10 Sekunde zehn und mehr Fahrer. 1/1000 Sekunden entscheiden hier nicht selten über Sieg und Niederlage, wie in diesem Jahr bei der WM, als ich im Fotofinish gegen den Olympiasieger Jason Kenny mit genau diesem Rückstand verlor. Dementsprechend sind Aerodynamik und Fahrlinie sowie taktische Raffinessen im Sprint von enormer Wichtigkeit.

Neben Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sind die 6Days, u.a. auf meiner Hausbahn im Berliner Velodrom, eine besondere Form von Bahnrennen, sprich ein absoluter Höhepunkt. Hierbei werden die Fahrer von durchschnittlich 15.000 Menschen pro Nacht zu sportlichen Höchstleistungen getrieben. Charakteristisch ist die Verschmelzung von Leistungssport, Showprogramm und einer einzigartigen Atmosphäre, die ihres gleichen sucht. Auch in Großbritannien, Frankreich, Holland und der Schweiz gibt es ähnliche Veranstaltungen mit einer hohen Besucherzahl und guten Einschaltquoten im Fernsehen. In Japan werden bei den sogenannten Keirin-Rennen sogar Wetten mit Einsätzen in Millionen-Höhe abgeschlossen. Leider genießt der Bahnradsport in Deutschland auf Grund des mangelnden medialen Interesses und in Folge der Dopingproblematik im Straßenbereich ungerechtfertigter Weise nicht so einen hohen Stellenwert.

Downhiller preschen die Berge hinab, BMXer springen waghalsig über Rampen, Rennradler düsen im Peloton durch die Alpen – Ist es da nicht langweilig, salopp gesagt, nur im Kreis zu fahren?

Nein, im Gegenteil. Auch nach mittlerweile 13 Jahren ist in jedem Rennen das Kribbeln im Bauch vorhanden. Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn du mit bis zu 80km/h Spitzengeschwindigkeit durch die oftmals engen Kurven der Bahnen dieser Welt rast oder dir durch waghalsige Fahrmanöver im letzten Moment doch noch den Sieg sichern kannst. Die Kurzzeitdisziplinen, insbesondere Sprint und Keirin, sind absolute Kampfsportarten – eben nur auf dem Rad! Kein Sprintlauf gleicht, auf Grund der vielen unterschiedlichen Taktiken auf den unterschiedlichsten Bahnen, dem anderen. Langweilig wird es dadurch nie. Gut ist es auch, dass für einen Bahnradsprinter das Training sehr vielseitig ist. So sammle ich während der Grundlagenphase viele Kilometer mit dem Straßenrad. In der Kraftphase bin ich sehr oft im Kraftraum und powere da, was das Zeug hält. In der Phase der speziellen Vorbereitung hingegen, bin ich sehr viel auf der Bahn anzutreffen. Auch das Athletiktraining, welches unter anderem durch Sprints, Läufe und Sprünge geprägt ist, ist ein wichtiger Aspekt meines Trainings. Hinzu kommt, dass ich durch die vielen internationalen Wettkämpfe sehr viele Länder in der Welt bereisen und kennenlernen kann. Alle diese Punkte, machen diese Sportart einzigartig und lassen sie niemals langweilig werden.

Wo liegen deine Stärken als Fahrer?

Meine absolute Stärke ist es, als einziger Sprinter in Deutschland – und wohl weltweit – auf allen drei Positionen auf internationalem Topniveau fahren zu können. Das habe ich bewiesen. Als schnellster Sprinter Deutschlands hatte ich mich in den letzten Jahren auf »Man Two« konzentriert, halte hier den Weltrekord. Aber in Hinblick auf Rio 2016 kehre ich zurück zu »Man One«, hier bin ich ja 2010 Weltmeister geworden und 2004 Junioren-Weltmeister. In Deutschland sind wir in den letzten Jahren im Teamsprint sehr erfolgreich gewesen. Grund dafür ist die Masse an leistungsstarken und international sehr erfolgreichen Sprintern. Dies hat zur Folge, dass es schon um die Nominierung ein »Hauen und Stechen« gibt. Es ist teilweise schwerer für das Team nominiert zu werden, als am Ende beim eigentlichen internationalen Wettbewerb eine Medaille in den Händen halten zu können. Teamsprint ist wirklich nicht nur ein »Hintereinanderfahren« von drei Sportlern, er ist tatsächlich hoch komplex, und auch der Bundestrainer hat kein leichtes Los, die richtige Kombination an Top-Sportlern zu finden.

Was unterscheidet den Bahnradsportler von anderen Radsportlern?

Der größte Unterschied ist im Aufbau des Rades zu sehen. So besitzt das Bahnrad weder Schaltung noch Bremsen oder Freilauf. Im Kurzzeitbereich ist es zudem so, dass der Körperbau der Fahrer mit einem Straßenfahrer nicht zu vergleichen ist. Sprinter haben sehr kräftige Beine mit großen Oberschenkelumfängen und sind dementsprechend sehr muskulös. Auch Oberkörper und Arme sind meist gut definiert, um die Kraft der Beine über den Lenker optimal auf das Vorderrad übertragen zu können. Ursache ist das ausgeprägte Kraftund Athletiktraining, um eine möglichst gute Beschleunigungsfähigkeit aus dem Stand und der Bewegung zu erreichen. Wenn ich gefragt werde welche Sportart ich betreibe, dann sorgt die Antwort, dass ich Radsportler bin, dadurch meist für verwunderte Gesichter.

Könnte man sagen, dass Bahnradsport mehr Kraftals Ausdauersport ist?

Man muss hier immer zwischen Ausdauerund Kurzzeitbereich unterscheiden. Im Ausdauerbereich spielen besondere Kraftfähigkeiten keine Rolle, wären sogar kontraproduktiv. Im Sprint und vor allem bei der Beschleunigung aus dem Stand im Teamsprint spielen die Kraftfähigkeiten eine sehr entscheidende Rolle. Hinzu kommen die motorischen Fähigkeiten, die trainiert werden müssen, um eine hohe Trittfrequenz und dementsprechend gute Höchstgeschwindigkeit erreichen zu können. Generell muss ich als Sprinter meinen Körper ständig an seine Leistungsgrenze bringen. So entstehen Laktatwerte von bis zu 23mmol (ein untrainierter Mensch würde bei 18mmol den Erschöpfungstod erleiden), welches eine totale Übersäuerung des Körpers mit sich bringt. Auswirkungen können Erbrechen und Muskelkrämpfe sein bzw. dass der Muskel total »zu macht«. Am deutlichsten ist das im 1000-Meter-Zeitfahren zu spüren, wo man etwa eine Minute »am Anschlag« fährt. Wenn man sich überlegt, dass der menschliche Körper nur sechs Sekunden in der Lage ist »Vollgas« zu geben, so kann man sich vielleicht ungefähr vorstellen, wie schlecht man sich nach diesen 60 Sekunden fühlt. Welche Leistungen bringst du auf die Bahn? Im Sprint kann ich Maximalwerte von etwa 2600 Watt erreichen. Zudem bringe ich pro Bein bis zu 180 Kilo Kraft auf die Pedale. Meine höchste jemals gemessene Geschwindigkeit aus eigener Kraft, ohne Windschatten, betrug beim 200-Meter- Zeitfahren knapp über 80km/h. Durchschnittsgeschwindigkeiten liegen im 1000-Meter-Zeitfahren bei etwa 60km/h und in der Sprintqualifikation im 200-Meter-Zeitfahren bei max. 75 km/h.

Wie und wie oft trainierst du die Anforderungen des Bahnradsports?

Ich trainiere zwischen sieben bis 14 mal die Woche. Abhängig ist die Anzahl der Einheiten von den Trainingsinhalten und bevorstehenden Wettkämpfen. So habe ich in der Phase der allgemeinen Konditionierung und in der Ausdauerphase noch nicht so viele Trainingseinheiten. Dafür sind die Straßeneinheiten bei bis zu 180km von der reinen Belastungsdauer mit bis zu fünf Stunden sehr lang. In der Kraftphase sowie der Phase meiner speziellen Vorbereitung habe ich sehr viele Einheiten, meist zweimal am Tag jeweils zwei bis vier Stunden. Dazu zu rechnen ist auch noch die Physio, etwa eine Stunde am Tag, sowie die Trainingsvorund -nachbereitung. Gegen 19 Uhr bin ich in der Regel fertig. Abends vor dem Fernseher wird sich meist noch gedehnt. In Wettkampfwochen habe ich meist weniger Training, da der Körper vor dem Wettkampf viel Ruhe braucht, um zum Wettkampf frisch zu sein. Im Verhältnis zur unsere Belastungszeit im Wettkampf ist zu sagen, dass ich eine sehr trainingsaufwendige Sportart betreibe. Hauptprogramm dabei ist die Tiefkniebeuge, welche ich bis zu einer Last von 280kg ausreizen kann. Und wenn ich Tiefkniebeuge sage, dann sind die wirklich richtig tief. Kreuzheben (um die 230kg) steht genauso auf dem Plan wie Bankdrücken (180Kg) und zum Spaß auch mal eine Beinpresse (650kg tief).

Robert Förstemann

Neben deinen hervorragenden sportlichen Leistungen bist du auch aufgrund deiner massiven Oberschenkel sehr bekannt geworden. Im ausländischen Raum nannte man dich sogar »Quadzilla«. Nervt das mit der Zeit oder freust du dich über die gesteigerte Bekanntheit und diese Art der sportlichen Bewunderung?

Nein, das nervt auf keinen Fall. Da der Bahnradsport in Deutschland leider nicht so bekannt ist, ist es super, dass ich mein Markenzeichen nutzen kann, um ihn auch hier ein wenig mehr in den Focus zu rücken. Im Ausland wie zum Beispiel Großbritannien, Japan und der Karibik gibt es nach wie vor einen richtigen Hype um die »riesigen« Schenkel des »Quadzilla« aus Deutschland und das macht mich natürlich sehr stolz. Gleichzeitig sehe ich es auch als Anerkennung meiner harten Arbeit und finde es toll, wenn Bodybuilder und Gewichtheber meine Beine mit Bewunderung bestaunen.

Gab es in Bezug auf deine Muskelentwicklung auch schon Dopingvorwürfe? Immerhin ist der Radsport für Skandale dieser Art bekannt?

Ja, klar. Ständig bin ich Angriffen dieser Art ausgesetzt und ganz ehrlich – wenn ich meine Schenkel manchmal neben anderen so sehe, denke ich auch, dass das nicht mehr normal ist (lacht). Dennoch kann ich versichern und voller Stolz sagen, dass ich meine Erfolge zu 100 Prozent ohne die Einnahme irgendwelcher verbotenen Substanzen erreicht habe. Sicher ärgere ich mich oft über neue Dopingskandale und denke auch darüber nach, wo ich wohl stehen würde, wenn man alle Konkurrenten, die vermeintlich positiv sind, streichen würde. Am Ende ist mir meine Gesundheit aber wichtiger. Auch die Geburt meines Sohnes im letzten Jahr hat mir aufgezeigt, dass Gesundheit und Familie wichtigere Dinge sind als erlogener Ruhm auf Kosten der eigenen Gesundheit und der meiner Kinder.

Machen wir einen kleinen Zeitsprung in die Vergangenheit: Bahnradsport ist sicherlich nicht die erste Wahl für einen Jungen in Deutschland. Wie bist du zu deinem Sport gekommen?

Als ich 2001 mit Radsport begann, war das noch eine andere Zeit. Radsport war in Deutschland sehr beliebt und die Stars der »Tour de France« Vorbilder bzw. Idole der meisten Kinder und Jugendlichen. So war es auch bei mir. Nachdem ich jahrelang in meiner Heimatstadt Gera sportlich alles was mit Wasser zu tun hatte – Turmspringen, Schwimmen, Wasserball – trainierte, musste ich zunächst aus gesundheitlichen Gründen vier Jahre lang eine Zwangspause einlegen. Ich hatte »Morbus Perthes« an meiner rechten Hüfte, das bedeutet, dass sich die Hüftkugel infolge von Durchblutungsstörungen aufzulösen begann. Glücklicherweise wurde ich von sehr guten Ärzten im Waldklinikum »Rudolf Elle« Eisenberg nach einem neuen Operationsverfahren operiert, wodurch ich mich später überraschender Weise doch wieder dem Sport widmen konnte. Da Radfahren gut für die Hüfte sein sollte, habe ich die Gelegenheit genutzt und mich mit 15 Jahren in Gera beim Radsport angemeldet. Eigentlich ist dies schon fast zu alt, um diesen Sport zu beginnen, aber ich hatte Talent und die notwendigen körperlichen Voraussetzungen, um mir nur neun Monate später bei meiner ersten Deutschen Meisterschaft die Bronzemedaille im Sprint zu erkämpfen. Die Folge war, dass ich in die Nationalmannschaft berufen wurde und mich diese faszinierende Sportart seit dem fesselt.

Hattest du damals Vorbilder?

Ja, allerdings kamen die nicht aus dem Sprintbereich. Da ich jedes Jahr im Urlaub die Tour de France gesehen hatte, wollte ich natürlich zunächst auch in diese Richtung gehen und hatte dementsprechende Vorbilder. Aber auch Arnold Schwarzenegger und Jean Claude van Damme waren meine Stars.

Welche Menschen beeindrucken dich heutzutage?

Mich beeindrucken Menschen, welche ehrgeizig ihre Ziele verfolgen und sich nicht verbiegen lassen. Das sind nicht unbedingt wichtige oder berühmte Menschen. Das sind in erster Linie Freunde und Familie, die mindestens genauso, wenn nicht oftmals sogar mehr leisten als viele andere Personen des öffentlichen Lebens.

Welche deiner Erfolge haben dir am meisten bedeutet und waren vielleicht auch prägend für die Zukunft?

Die doch recht überraschende Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2012 in London, der Weltmeister- Titel 2010 in Kopenhagen und der Sprint-Sieg beim WC in Manchester 2013 haben mir am meisten bedeutet. Diese Siege geben mir auch für zukünftige Aufgaben sehr viel Selbstvertrauen und ich freue mich, irgendwann meinen Enkelkindern davon erzählen zu können.

Du bist Inhaber mehrerer Bahn- und Weltrekorde, warst bereits Welt- und Europameister. Was kann man von dir noch erwarten?

Ich habe mir das Ziel gesetzt, olympisches Gold zu gewinnen und erneut Weltmeister zu werden. Wie lange kann man im Bahnradsport Spitzenleistungen erbringen? Das ist immer abhängig von den körperlichen Voraussetzungen des jeweiligen Sportlers. Bei einigen Fahrern ist der Körper mit Ende Zwanzig schon so verschlissen, dass keine Leistungssteigerungen mehr zu erreichen sind. Generell ist es aber so, dass speziell der Bahnradsprint eine Sportart ist, die relativ lange betrieben werden kann. Bestes Beispiel dafür ist der britische Olympiasieger Sir Chris Hoy, welcher im vergangenen Jahr mit 37 Jahren sein Rad an den Nagel gehängt hat. Bezüglich des Nachwuchses sind wir in Deutschland sehr gut aufgestellt. Im vergangenen Jahr hatten wir mit Stefan Bötticher einen sehr jungen Weltmeister, der sicherlich eine große Zukunft vor sich hat

Hast du neben deinem Sport und dem Familienleben auch noch Zeit für Hobbys oder andere sportliche Aktivitäten?

Ich bin froh, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Gleichzeitig muss ich aber ehrlich zugeben, dass es sehr zeitraubend ist, wenn man diesen Sport auf dem Niveau betreibt, wie ich es mache. Die übrige Zeit gehört dann wirklich der Familie und ich bin froh, wenn ich mich einfach mal nicht bewegen muss. Mit Freunden Go-Kart zu fahren ist dennoch gern mal drin.

Eine Frage zum Abschluss: Was wäre aus dir geworden, wenn man das Rad nie erfunden hätte?

Wenn man das Rad nie erfunden hätte, wäre ich sicherlich Bodybuilder, Ringer oder Gewichtheber geworden.

Fotos: Robert Förstemann, Dajana Rubert

23. Juli 2021

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