Interview: Matthias Mayr
Matthias Mayr ist ein knallharter FreerideProfi, der schon die spektakulärsten abfahrten weltweit auf seinen Ski gemeistert hat. Gleichzeitig ist der 34-jährige aber auch Entdecker und abenteurer. Seine Suche nach extremen Erlebnissen führte den Sportwissenschaftler aus Österreich jüngst auf Onekotan, eine der schönsten und faszinierendsten inseln der Welt. Was er am pazifischen Feuerring zwischen kamchatka und Hokkaido erlebt hat, welche Philosophie er lebt und wie er sein aufregendes Leben finanziert, ist spannend und fesselnd zugleich.
Du wirst uns Flachländern die Frage verzeihen, aber wie kommt man vom normalen Skifahren dazu, sich als Freerider die wildesten Hänge herab zu stürzen?
Eigentlich liegt die Antwort schon in der Frage, denn »normales« Skifahren ist im Grunde genommen Freeriden. Pisten zu präparieren ist künstlich und nicht die ursprüngliche Form des Skifahrens. Freeriden hingegen beschreibt all das Skifahren, das in freiem Gelände abseits von markierten Pisten passiert. Es ist die Art von Skifahren, die viele Kinder als Erstes erlernen und die Kindern auch am meisten Spaß macht. Kurz gesagt, ich habe mir die kindliche Freude am Skifahren erhalten.
Wie kann man sich das können aneignen, um auf so einem Level zu fahren?
Da ich Sportwissenschaften studiert und eine Doktorarbeit über Freeskiing geschrieben habe, bin ich quasi mein eigener Trainer. Oft werde ich gefragt, ob Angstüberwindung mein wichtigstes Talent sei. Niemand würde einen Chirurgen, Lionel Messi oder andere Spezialisten auf ihrem Gebiet fragen, ob Mut das einzig Wichtige ist. Fehlendes Können mit Waghalsigkeit zu kompensieren, geht vielleicht einmal gut, aber das war´s dann auch schon. Ich sehe Freeriden, wie ich es betreibe, übrigens nicht unbedingt als etwas Besonderes an. Wenn man eine Tätigkeit sehr oft übt, steigt das Niveau. Manche Tätigkeiten sehen dann für Laien vielleicht gefährlich aus. Sind sie aber für den Ausübenden in der Regel nicht. Die meisten Unfälle passieren ja im Haushalt.
Was treibt dich an – die Möglichkeit, bereits bewältigte Extreme noch zu steigern oder dein können auf neuen Spielfelder zu beweisen?
Wahrscheinlich geht es mir da gleich wie allen Menschen. Ich will mich nicht langweilen und etwas Erfüllendes tun bzw. erleben. Meine Projekte sind für mich persönlich die ultimative mentale und körperliche Herausforderung. Wenn man sich Videos deiner abfahrten ansieht, dann sind Ski-Stunts wie im klassiker »Fire & ice« im Vergleich fast schon kindergarten. Wie kommt es zu dieser rasanten Entwicklung? Material und finanzielle Unterstützung, wie manch Einer meint, spielen eher eine untergeordnete Rolle. Schon zuvor habe ich das Beispiel Fußball benutzt und möchte es auch hier wieder tun. Ich bin der Meinung, kein Spieler spielt besser Fussball, weil er mehr Geld bekommt. Eher das Umgekehrte ist der Fall. Ich glaube, dies gilt für die meisten Sportarten. Natürlich ist auch die Vermarktung ein wichtiger Faktor. Das Material hat sich ebenfalls rasant weiter entwickelt. Dabei denke ich aber, dass schon vor vielen Jahren die Sportler im Skibereich extreme Leistungen vollbracht haben, die aber aufgrund der Entwicklung im filmischen Bereich nun noch viel spektakulärer wirken.
Wer finanziert deine Abenteuer?
Ich bin seit 2009 hauptberuflich als Freerider unterwegs. Meine Sponsoren Peak Performance, Elan Skis, Smith Optics und Partner wie BMW und Contour Skins ermöglichen mir, mich das ganze Jahr mit dem Thema Freeride zu beschäftigen. Zusätzlich bin ich gemeinsam mit Matthias Haunholder Produzent unserer Filme, trage dadurch das Risiko der Finanzierung eines Projektes, habe aber auch die Möglichkeit es zu vermarkten. Dann kommen noch Vorträge hinzu und außerdem unterrichte ich fallweise an der Universität. Und eins ist auf alle Fälle klar: Es kommt immer zuerst die Leistung und dann das Geld.
Wie sehr ist der Extremsport überhaupt vom Kommerz geprägt? Manchmal könnte man schon denken, dass dort Jeder den ganzen Tag mit der GoPro auf dem Helm und der Red Bull-Dose in der Hand unterwegs ist...
Vielleicht spielst du auf diese seltsame TV-Doku an, ich denke sie heißt »Die dunkle Seite von Red Bull«. Also zu glauben, es gibt Extremsportler, die ihre Aktionen wegen Geld oder Leistungsdruck machen, ist für mich sehr eigenartig. Wie schon gesagt, es kommt immer zuerst die Leistung, dann der Sponsor, der aufmerksam wird. Wir würden auch ohne Sponsorenlogo von der Klippe springen. Ein 50-jähriger Hobbyfußballer gibt im Monat vielleicht 50 Euro für seinen Sport aus. Er würde logischerweise auch spielen, wenn er drei Millionen dafür bekommt, aber mehr Spaß würde er dann auch nicht empfinden. Sport ist immer intrinsisch motiviert, ansonsten ist es nur schwer möglich, Spitzenleistungen bringen zu können.
Siehst du dich eher als abenteurer oder als Sportler?
Für mich ist Beides untrennbar miteinander verbunden.
Was waren bisher deine emotionalsten Highlights in deinem aktionsreichen Leben?
Da gibt es zu viele, um mich überhaupt an alles erinnern zu können. Unser letzter Trip nach Onekotan hatte beispielsweise einige solcher einzigartigen Momente.
Wie seid ihr darauf gekommen, mit Onekotan diese unbekannte und gleichermaßen faszinierende wie lebensfeindliche Insel zu erforschen?
Entdeckt haben wir die Insel vor Jahren auf Google Earth. Wenn man sie aus der Vogelperspektive sieht, wird schnell klar: So etwas ist einzigartig auf unserem Planeten. Da muss man einfach hin!
Wie habt ihr überhaupt einen Weg gefunden, diese entlegene Vulkaninsel zu erreichen?
Da muss ich darauf verweisen, dass es den Film dazu bei zahlreichen Festivals und auch auf I-Tunes zu sehen gibt. Ich denke der Platz reicht hier nicht aus, die Frage zu beantworten. Es war auf jeden Fall eine außergewöhnliche Grenzerfahrung, die mehrmals kurz vorm Scheitern stand.
Wer 18 Tage unter arktischen bedingungen überleben will, muss nicht nur auf den Skiern ein Vollprofi sein. Wie hast du dich mit deinem Team auf diese Herausforderung vorbereitet?
Wichtig war uns, dass alle Teammitglieder Erfahrungen mit extremen Situationen haben und mental und körperlich sehr stark sind. Der absolute Wille diese Mission durchzuführen, war ebenfalls unabdingbar. Außerdem haben wir noch Experten befragt, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Theorie und Praxis unterscheiden sich oft.
Mit welchen unerwarteten Widrigkeiten musstet ihr auf Onekotan kämpfen?
Der größte und gleichzeitig permanente Gegner war der Wind – besser gesagt Orkan – der auf dieser Insel praktisch immer herrscht. Mehrmals hat uns der Wind einen Strich durch die Rechnung gemacht und uns hart an unsere Grenzen gebracht.
Wie sah ein typischer Tag während diese Zeit aus?
Da auf der Insel nichts ist, das von Menschenhand geschaffen ist, mussten wir uns komplett selbst versorgen, unser Lager immer wieder stabilisieren und neu aufbauen, außerdem mussten wir enorme Distanzen zurücklegen. Jeder Tag war von Tätigkeiten ausgefüllt, die notwendig waren, um unsere Ziele zu erreichen, also die Caldera (Krater) und den Vulkan mit Skiern zu befahren.
Mit welchen Eindrücken bist du von diesem Abenteuer zurückgekehrt?
Ein Erlebnis wie dieses ist für mich persönlich das intensivste und lehrreichste bisher. In keinem Studium, in keiner Ausbildung kann man lernen, was man bei solch einer Reise lernt. Urlaub war nicht nötig, denn nach so einer Reise ist der Alltag zu Hause Urlaub. Unsere Erfrierungen waren mit Ausnahme von Phils Daumen bald wieder in Ordnung.
Wie sehen deine nächsten Pläne aus, kannst du uns schon etwas verraten?
Wir haben im Rahmen unserer Reise nach Onekotan einen Ort in Sibirien entdeckt, zu dem wir im kommenden Frühling reisen wollen. Da ich hier leider nicht alle Fragen vollständig beantworten konnte, noch der Hinweis, dass wir am 15. November beim Bergsichten-Festival in Dresden einen Vortrag über unsere Reise halten werden. Da habe ich sicherlich die Gelegenheit, Fragen ausführlicher zu behandeln.
Fotos: Phil Jelenska, Jonas Blum
09. November 2015