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Interview: Christina Schwanitz

Christina Schwanitz, die für den erzgebirgischen Verein LV 90 Thum startet, ist eine der besten Kugelstoßerinnen der Welt. Dies zeigte die gebürtige Dresdnerin nicht nur mit einem starken 10. Platz bei den Olympischen Spielen 2012 in London, sondern auch mit WM-Silber 2013 und Gold bei den Europameisterschaften im letzten Jahr. Im Interview verrät uns die 29-jährige Sportsoldatin, wie ihr knallharter Trainingsalltag aussieht, wie sie mit Verletzungen – die sie oft ausgebremst haben – umgeht und wie sich die Kugelstoßerinnen auch international solidarisch gegen Dopingsünder wehren.

Eins möchten wir vorab wissen. Hat das Kugelstoßen zu dir gefunden oder hast du zum Kugelstoßen gefunden?
Ganz klar, das Kugelstoßen hat zu mir gefunden. Es hat auf Anhieb gepasst, Hand auf Kugel.

Hattest du bereits entsprechende körperliche Voraussetzungen?
Da ich schon immer ein recht sportlicher Mensch war, fiel es mir nicht schwer. Ich habe das große Glück, schnell Muskeln und Kraft aufzubauen und etwas Athletik habe ich wohl von Natur aus mitgebracht.

Dein Sport besteht darin, eine 4-kg-Kugel so weit wie möglich zu stoßen. Ein recht einfacher Sport, oder?
Auf den ersten Blick mag es einfach aussehen, doch ich trainiere täglich bis zu acht Stunden, um beim Stoßen den perfekten Moment zu erwischen, in dem sich Geschwindigkeit, Technik und Kraft ideal vereinen. Immerhin sind es genau vier Tetrapack Milch, die ich in Kugelform weiter als die Entfernung zwischen Heck und Kühlergrill eines LKWs stoße. Dazu gehört mehr als nur rohe Kraft.

Leistungssportler entwickeln oft ein inniges Verhältnis zu ihrem Sportgerät. Ist das bei dir auch so?
Bei meiner Kugel kenne ich jeden Kratzer und jede Unebenheit. Trotzdem mag ich sie am liebsten, wenn sie weit von mir weg ist, denn das bedeutet, dass es ein guter Stoß war.

Wie oft stößt du deine Kugel im Training?
Ich trainiere von Montag bis Samstag elfmal pro Woche. Die Einheiten umfassen zwei bis vier Stunden, davon stoße ich bis zu 600-mal. Dazu kommen Sprints, ein umfangreiches Sprungtraining, allgemeine Athletikübungen mit rund 1.500 Wiederholungen, Medizinballwürfe, Seilspringen, Dauerläufe sowie Rad- oder Ergometertraining. Ein wichtiger Part ist auch das Krafttraining mit Bankdrücken, Schrägbankdrücken, Kniebeugen, Kreuzheben und Langhantelumsetzen. Auch wenn das Krafttraining hart ist, bin ich sehr gerne im Kraftraum und freue mich über neue persönliche Rekorde, wie z.B. letztes Jahr, als ich im Kreuzheben 210kg für fünf Wiederholungen heben konnte.

Gibt es für Kugelstoßer ein klassisches Verschleißprofil oder treten Verletzungen eher individuell auf?
Da ich eine sehr gelenkbelastende Sportart betreibe, bleiben Verletzungen und überdurchschnittliche Abnutzungen nicht aus. Beim Kugelstoßen liegt eine starke Belastung auf dem Handgelenk, dem Ellenbogen, der Schulter, aber auch Hüfte, Bandscheiben, Knie und Füßen. Ich habe leider von meinen Eltern nicht nur positive Veranlagung mit auf den Weg bekommen, sondern auch eine angeborene Schrägstellung der Zehen, die vor Jahren operiert wurde. Dabei gab es Komplikationen, die mich zwei wertvolle Jahre gekostet haben. Letztes Jahr musste ich leider wegen einer Patellasehnenentzündung wieder unters Messer und auch hier lief nicht alles nach Plan. Momentan laboriere ich noch mit leichten Rückenproblemen, aber grundsätzlich fühle ich mich trotzdem noch nicht verschlissen. Hochleistungssport ist eben kein Ponyhof.

Somit hast du dein Praxissemester Anatomie bereits hinter dir?
Der Vorteil am Sport ist wirklich, dass man seinen Körper in und auswendig kennen lernt und man so viel leichter einschätzen kann, ob ein Schmerz etwas Ernsthaftes ist oder nur Muskelkater. Jede Physiotherapiestunde bringt natürlich auch weiteres Wissen mit sich und ich empfinde es als sehr beruhigend, zu wissen, was in meinem Körper vorgeht und wie ich dies zu bewerten habe.

Nicht jeder Athlet bringt im Wettkampf auch seine Trainingsbestleistung. Wie ist bei euch Kugelstoßern der psychologische Aspekt zu bewerten?
Jeder Leistungssportler hat mit Druck zu kämpfen und es gibt mehr als genug Trainingsweltmeister, die damit nicht klarkommen. Ich selbst hatte nach meiner ersten internationalen Medaille eine recht schwierige Zeit, mit sehr viel Leistungsdruck, allerdings in schulischer Hinsicht und mein Kopf ist damals klassisch daran gescheitert. Dies hatte ich anfangs gar nicht wahrgenommen. Auch die Jahre danach verpasste ich es, meine Bestleistung in wichtigen Wettkämpfen abzurufen. Nachdem ich dann den Trainer und Wohnort und fast mein ganzes Leben verändert hatte, wollte es immer noch nicht funktionieren. Bis mein jetziger Trainer, Sven Lang, mir psychologische Hilfe empfahl. Vor drei Jahren bin ich dann zu der Psychologin Grit Reimann nach Dresden gegangen. Von der Idee hielt ich anfangs gar nichts, da ich der Meinung war, dass nur Menschen, die eine Macke haben, zum Kopfdoktor rennen. Trotz meiner negativen Vorurteile half mir die Psychologin in kurzer Zeit, herauszufinden, woher mein Problem kam und wie man es beseitigten konnte. Mittlerweile kann ich meine Leistung unter Druck abrufen und ich habe sogar sehr viel Spaß an diesem mentalen Kräftemessen.

Bei deinen Titeln sind »normale« Meisterschaften, aber auch Hallenmeisterschaften aufgeführt? Finden diese Wettkämpfe im gleichen Jahr statt, so dass man als Leichtathlet in einem Jahr zweimal Weltmeister werden könnte?
Die Deutschen Meisterschaften finden zweimal im Jahr statt, in der Halle (Winter) und Freiluft (Sommer). Die Internationalen Meisterschaften wechseln sich jährlich ab. In diesem Jahr ist es so, dass die Hallen-Europameisterschaft im Winter (Februar) war und im Sommer haben wir dann die Freiluft-Weltmeisterschaft. Zweimal Weltmeister im selben Jahr geht also nicht (Ausnahme Militär-WM).

Für dich ist Kugelstoßen nicht nur deine Berufung, sondern auch dein Beruf. Wann kam für dich die Entscheidung mit dem Sport deinen Lebensunterhalt zu bestreiten?
Ich bin 2004 mit meiner schulischen Ausbildung fertig geworden und habe durch die Fußoperationen drei Jahre nur bedingt vom Sport gelebt. Meine Familie war damals der Hauptsponsor, denn leider gibt es nicht viele Möglichkeiten, um Hochleistungssport zu betreiben und einen Arbeitgeber zu finden, der das unterstützt.

Kann man vom Kugelstoßen überhaupt leben?
Nur durch den Sport nicht. Zum Glück habe ich die Möglichkeit bekommen, durch die Bundeswehr unterstützt und gefördert zu werden und so meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nur durch die Bundeswehr konnte ich damals überhaupt mein Hobby zum Beruf machen. Auch die Sporthilfe steht mir schon sehr lang zur Seite und hat mich in meiner Ausbildungszeit stark unterstützt. Durch die letzten erfolgreichen Jahre ist es etwas einfacher geworden und ich konnte einige wenige Sponsoren für mich gewinnen. Aber man darf diese Unterstützung nicht mit den »super«-Sportarten wie Fußball, Tennis oder Formel 1 vergleichen. Diese Sportler verdienen ein zig-faches. Leider werden Sportler aus anderen Nationen wesentlich mehr von ihrem Staat unterstützt. Dies ist allerdings kein Argument für mich, die Nationalität zu wechseln.

Was waren bisher deine schönsten Momente als Kugelstoßerin?
Mein erster Wettkampf: Ohne Training, einfach mal hin und nachmachen, was die Großen so machen, war beeindruckend, auch wenn ich damals noch überhaupt nicht einschätzen oder erahnen konnte, was für eine aufregende Zeit mir bevorstehen wird. Dann die Olympischen Spiele in Peking und später London. Einfach sensationell. Das olympische Dorf, das riesige Stadion, der Lärm, die Medien, die vielen Sportler und Nationen. Auch als ich das erste Mal über 20 Meter gestoßen habe, war ein ganz besonderer Moment. Dann kam 2013 meine erste internationale Medaille im Erwachsenenbereich. Das war ein so unglaubliches und doch berauschendes Gefühl, mit so viel Stolz, Ehrfurcht und so vielen tausend Emotionen. Auch im Privaten hatte ich damals mein ganz großes Glück gefunden. Durch viel Zufall und Glück hatte mich ein Leichtathletik-Fan angeschrieben und wollte mir mitteilen, dass er mich mal im TV gesehen hatte und seit her die Daumen für mich drücken würde. Naja nun sind wir seit fast eineinhalb Jahren verheiratet, wohnen zusammen und versuchen, so viel Zeit wie möglich gemeinsam zu verbringen. Wie das Leben oft so spielt.

Die Schattenseiten des Leistungssports sind nicht nur Verletzungen, sondern auch das leidige Thema Doping. Jüngstes Beispiel in deinem Sport ist Nadeschda Ostaptschuk, die in London ihre Olympiamedaille wieder abgeben musste. Macht das auch auf nationaler Ebene die Anerkennung kaputt, für die ihr so hart arbeitet?
Zum Glück stehen Moral und die Loyalität zum sauberen Leistungssport bei vielen Sportlern in Deutschland an erster Stelle. Wir Mädels im Kugelstoßen können nur durch Leistung überzeugen. Ich komme im Jahr auf über 50 Dopingkontrollen, noch genauer würde ich wahrscheinlich nur kontrolliert werden können, wenn ich im Labor schlafe. Leider gibt es immer noch Menschen, die denken, Kugelstoßerinnen sind große Schränke, mit breitem Kreuz, tiefer Stimme und Bart. Nun ja, wer sich für unseren Sport interessiert, wird recht schnell merken, dass diese Zeiten längst vorbei sind. Ich versuche stetig, dieses Bild in den Köpfen der Menschen zu verändern, einfach durch ich-selbst-sein. Natürlich sieht man mir den Kraftsport an, worauf ich auch stolz bin, aber oftmals werde ich auch gefragt: »Wirklich, du bist Kugelstoßerin…?«. Ich versuche immer beiallen Bekanntschaften in meinem Leben das Interesse für Leichtathletik und vor allem fürs Kugelstoßen der Frauen zu wecken. Denn es ist für die Leute viel interessanter, einen Sport zu schauen, bei denen man die »Stars« auch als Mensch kennt.

Ist es dir schon passiert, dass du dir bei einer Konkurrentin sicher warst, dass bei ihr mehr als nur Müsli und Vitamine im Spiel sind?
Wenn der Staat aus Prestigegründen hohe Preisgelder verspricht, kommen Menschen aus ärmeren Ländern schon in Versuchung, auf unsauberem Wege nachzuhelfen, um ihre Familien zu ernähren und in Wohlstand zu leben. Nicht allen geht es so gut, wie bei uns. Allerdings entschuldigt dies kein Doping und ich spreche mich ganz klar dagegen aus. Bei Frau Ostapchuk hatten wir alle eine Ahnung, aber leider kann das nur durch Dopingkontrollen bewiesen werden. Ich fand es bezeichnend, dass alle Kugelstoßer-Mädels, egal von wo aus der Welt, sie gemieden haben, denn offensichtlicher ging es nicht. Dass der Zusammenhalt von Konkurrentinnen so stark war, hat mich echt beeindruckt.

Müssen wir befürchten, dass der Spitzensport generell nur noch dadurch entschieden wird, wer besser dopen und es vertuschen kann? Dies entspräche dem Tenor des Diskuswerfers Robert Harting, der sogar »Doping- Anschläge« für möglich hält?
Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass es zu so einem Eklat kommt, da nur wenige Länder auf der Welt mit dem Slogan »Sieg oder Sibirien« in den Sport gehen. Leider wird es immer wieder zu solchen Zwischenfällen kommen, so lange das aktuelle Doping- Kontrollsystem besteht, denn es können immer wieder Mittel und Wege gefunden werden, es zu umgehen. Dies wurde kürzlich in einer ARD-Doku berichtet. Ich vertrete auch Robert Hartings Aussage, dass wenn positive Dopingkontrollen negativ »gedreht« werden können, es auch andersrum geht. Dies macht mir Angst, denn in Deutschland zählt die Unschuldsvermutung bis die Schuld bewiesen werden kann - außer im Sport. Da ist man erstmal schuldig, bis der Sportler mit sehr viel Aufwand beweisen kann, dass er sauber ist und war, siehe den Fall Claudia Pechstein (und Alexander Leipold, die Redaktion).

Was wünschst du dir für deinen Sport und deine eigene sportliche Zukunft?
Ich wünsche mir für meine Sportart viel mehr Präsenz in den Medien, mehr Unterstützung von Sponsoren und Förderern und leichtere Einstiegsmöglichkeiten für Kinder, denn sie sind unsere Zukunft.Und ich wünsche mir, dass mein ganz großer Traum wahr wird, bei den Olympischen Spielen eine Medaille zu erkämpfen. Und dass ich noch lange, gesund meinen Sport mit Spaß ausüben kann. Vielen Dank dafür, dass ich euch meine Sportart vorstellen durfte. Ich würde mich freuen, wenn ihr meinen Namen in Zukunft auch mit dem Menschen hinter der Kugel verbindet und mich anfeuert, wenn es ums Ganze geht. Eure Christina

Fotos: Andreas Bauer, Privat

02. März 2016

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