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Interview: Annie Thorisdottir

Annie Thorisdottir

Die Isländerin Annie Thorisdottir gilt als fitteste Frau der Welt und kann mittlerweile vom CrossFit leben. Im Interview verrät sie mehr über ihren kraftvollen Alltag.

Innerhalb kurzer Zeit hast du dich zur Weltspitze im CrossFit vorgearbeitet. Wie hast du das geschafft?

Bevor ich mit dem CrossFit begann, hatte ich bereits eine gute sportliche Basis. Ich habe in jungen Jahren geturnt und auch regelmäßig in sogenannten Bootcamps trainiert. Das Turnen hat mir eine gute Grundlage verschafft. Dies half mir, auch im CrossFit schnell die notwendigen Techniken und Bewegungsabläufe zu erlernen. Als ich mich das erste Mal für die Reebok CrossFit Games qualifiziert hatte, standen mir gerade einmal zwei Monate zur Vorbereitung zur Verfügung. Dies zwang mich, schnell zu lernen. Schwer fiel mir dies nicht, denn CrossFit hatte mich vom ersten Tag an bereits voll und ganz in seinen Bann gezogen.

Hast du bereits vorher Wettkämpfe bestritten?

Ja, hauptsächlich im Turnen, welches ich fast zehn Jahre lang betrieben habe. Ich denke, daher kommt auch mein Drang, mich im Wettkampf zu messen. Als ich mit dem Turnen aufgehört habe, ging es mit Tanzen und Ballet weiter. Dies hat sicherlich Spaß gemacht, aber es war nicht die Art Wettkampfatmosphäre, die ich brauchte. Ballet und Tanzen waren mehr Show als körperliche Fitness und so zog es mich dann zum Stabhochsprung hin. Ich habe diesen Sport wirklich geliebt und war dort auch noch aktiv, als ich schon mit dem CrossFit begonnen hatte. Irgendwann musste ich mich jedoch entscheiden und meine Wahl fiel auf CrossFit. Diese Entscheidung habe ich nie bereut.

Wann und wie bist du zum CrossFit gekommen?

Das war 2009. Damals beendete ich gerade die Schule. Neben den erwähnten Sportarten, die ich damals trainiert habe, habe ich in dieser Zeit auch bei Ausdauerwettkämpfen und kleineren Fitness-Turnieren teilgenommen. Ein guter Freund nahm mich dann auch mit zu einem CrossFit- Wettkampf. Dies war im Frühjahr und ich entschloss mich spontan zur Teilnahme. Ich war wahrscheinlich selbst am meisten überrascht, als ich diesen Wettkampf gewinnen konnte. Da Island für die CrossFit Games eine Wildcard hatte, bekam ich den Platz in der Mannschaft. Daraufhin folgten die besagten zwei Monate, in denen ich erstmals ernsthaft CrossFit trainierte.

Strongman wie Magnús Ver Magnússon oder Benedict Magnússon haben bewiesen, dass Island irgendetwas hat, was die Sportler stärker macht. Was ist das Geheimnis?

Naja, ich denke nicht, dass es da etwas Spezielles gibt. Island ist einfach sportlich und du wirst hier kaum ein Kind finden, das nicht in irgendeiner Sportart aktiv ist. Hier bei uns animieren die Eltern ihre Kinder schon sehr früh und helfen bei der Auswahl der Sportangebote. Das mit der Ernährung ist nicht ganz falsch. Ich selbst bin es gewohnt, regelmäßig Fischöl zu mir zu nehmen, was mittlerweile im CrossFit gängige Praxis ist. Generell essen wir natürlich auch eine Menge Fisch und gesundes Fleisch von Weidetieren. Trotzdem denke ich, dass es unser größter Vorteil ist, in jungen Jahren mit dem Sport zu beginnen und in einem Land zu leben, in dem körperliche Aktivität ganz groß geschrieben wird.

Island ist mit 300.000 Einwohnern kein sehr dicht besiedeltes Land. Nun bist du ein international renommierter Star in einer boomenden Sportart. Wie gehst du damit um?

Ich habe sehr viele Menschen um mich herum, die mich tagtäglich unterstützen. Sie sind für mich da und sie sind sehr stolz auf meine Leistungen. Ich denke nicht, dass ich mich groß verändert habe. Zuhause bin ich immer noch dieselbe Person, die ich vor den sportlichen Erfolgen war. Ich setze mich keinem negativen Erfolgsdruck aus, ich sehe die Dinge positiv und gebe ihnen die Chance, mich für weitere Erfolge anzuspornen. Bei allem Erfolg ehrt es mich besonders, dass ich mit dem, was ich tue, so viele Menschen inspirieren und positiv beeinflussen kann.

Kann man vom CrossFit leben?

Ja, da gibt es Möglichkeiten. Natürlich ist es zu Beginn schwierig, aber wenn du an der Spitze bist, sieht es besser aus. Für mich beispielsweise war der Alltag nach dem Gewinn der CrossFit Games wesentlich einfacher, denn ich hatte nun einen finanziellen Puffer, musste mich daher nicht um tausend andere Dinge sorgen und konnte mich somit noch besser auf mein Training konzentrieren. Für viele Sportler ist es jedoch trotzdem hart und deshalb sind viele Athleten, die bei den CrossFit Games starten, als Betreiber von CrossFit-Boxen aktiv, um über die Runden zu kommen.

CrossFit beinhaltet jede Menge Elemente aus dem olympischen Gewichtheben, die sehr viel Technik erfordern. Werden dadurch nicht Sportler bevorzugt, die aus dem Gewichtheben kommen?

Der Meinung bin ich nicht. CrossFit bedeutet, in mehr als nur einer Sache gut zu sein, auch wenn Gewichtheben eine gute Basis ist, denn dann weißt du zumindest schon einmal, wie man schwere Gewichte korrekt bewegt. Gewichtheber von Olympischem Format sind jedoch nicht gleichbedeutend gut im CrossFit, da wir in einem ganz anderen Wiederholungsbereich trainieren und sehr viel kürzere Pausen zwischen den Übungen haben.

Wie sieht dein Training genau aus?

Normalerweise trainiere ich zweimal täglich, jeweils morgens und nachmittags. Früh absolviere ich normalerweise ein allgemeines Workout, dazu kommt Technikarbeit. Nachmittags geht es mehr in den Kraftbereich und manchmal kommt auch noch ein wenig Techniktraining dazu. Mittwoch ist mein aktiver Ruhetag, da lasse ich es ruhig angehen, wärme mich ein wenig auf und bewege mich einfach. Sonntag ist ein kompletter Ruhetag, da findet man mich nicht in der Trainingshalle.

Was motiviert dich im Training?

Die meiste Motivation kommt aus der Tatsache, dass ich liebe, was ich tue. Ich genieße mein Training genauso, wie das befriedigende Gefühl nach der getanen Arbeit. Ich bin jedesmal so richtig aufgedreht, wenn es in die Turnhalle geht und ein neuer Trainingsplan ansteht. Ich setzte mir ständig Ziele und versuche permanent, mich zu verbessern. Das Gute am CrossFit ist, dass du niemals perfekt bist, es gibt immer etwas, woran du arbeiten kannst. Dadurch macht das Training Spaß und vermittelt mir immer eine Herausforderung.

Welchen Stellenwert nimmt deine Ernährung ein?

Die Ernährung wird immer wichtiger, aber ich bin jemand, der sich gesund, aber nicht einseitig ernährt. Ich esse so wenig wie möglich verarbeitete Lebensmittel und passe auf, dass ich regelmäßig esse, vor allem, wenn ich als Coach oder als Wettkämpfer unterwegs bin. In der Hektik kann man schnell vergessen, seinem Ernährungsplan zu folgen. Insgesamt ist es mir wichtig, genügend Nährstoffe zu bekommen und idealerweise mein Essen auch selbst zu kochen. Nur dann weiß ich wirklich, was es enthält. Bei aller Konsequenz bin ich aber auch nur ein Mensch und nutze meinen „Schummel- Samstag“, um die Zügel ein wenig schleifen zu lassen.

Was ist deine Lieblingsübung im Training?

Ich hebe gerne schwere Gewichte, habe aber auch Spaß an langen Turn- und Gymnastikeinheiten.

Was sind deine Stärken und Schwächen im Wettkampf?

Ich gebe niemals auf und ich kann mich bis zum geht-nicht-mehr fordern. Mehr also die mentalen Sachen. Längere Laufoder Schwimmeinheiten sind nicht so mein Ding, aber daran arbeite ich. Trotzdem wird sowas nie mein Steckenpferd sein.

Rückenprobleme haben dich letztes Jahr von der Teilnahme an den Games abgehalten. Wie geht es dir jetzt?

Ich fühle mich deutlich besser. Fast ein Jahr lang hatte ich damit zu kämpfen. Ich konnte kaum Gewichte heben und einige Übungen fielen auch komplett aus. Ich habe die Zeit genutzt, um mich auszuheilen und meinen Rücken zu kräftigen. Jetzt ist er keine Schwachstelle mehr und ich fühle mich wirklich gut.

Man bezeichnet dich als die fitteste Frau der Welt? Findest du dies gerechtfertigt

In Sinne dessen, wie sich CrossFit defininert, finde ich den Titel gerechtfertigt. Ich weiß jedoch, dass ich nicht die stärkste und auch nicht die schnellste Athletin auf der Welt bin. Es gibt genug Sportlerinnen, die sich in Teilbereichen spezialisiert haben und dort natürlich auch stärker sind. Aber in dem Maße wie CrossFit den gesamten Körper fordert, ist der Titel durchaus passend.

Fotos: Reebok Public Relations

04. September 2016

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